Der Entwurf für die neue EU-Urheberrechtlinie hat zu einer Menge Verwirrung und Ärger geführt. Vieles von dem, was immer wieder behauptet wird, stimmt nur halb oder ist ganz falsch. Stichwort: Upload-Filter.
Alexander Koch, Justiziar der AGD, und Victoria Ringleb, Geschäftsführerin der AGD, versuchen nach und nach, etwas Klarheit zu schaffen und den Standpunkt unseres Berufsverbandes darzulegen. Am Anfang der kleinen Serie steht ein Beitrag zum berühmt-berüchtigten Artikel 17 (vormals Artikelt 13).
Bevor wir uns auf den Artikel 17 stürzen, lasst uns doch zur Einstimmung wissen, was überhaupt Sinn und Anliegen der EU-Urheberrechtsrichtlinie ist.
Victoria Ringleb: Die EU-Urheberrechtsrichtlinie zielt darauf, unser Verständnis von dem Recht, das ein Urheber in Bezug auf das von ihm geschaffene Werk hat, im digitalen Zeitalter rechtssicher umzusetzen. Das heißt, die technischen Möglichkeiten des Internets dürfen die Missachtung des Rechts am eigenen Werk nicht »durch die Hintertür« legitimieren.
Alexander Koch: Ich möchte das ergänzen. Nicht nur die Urheber und das Urheberrecht werden gestärkt, sondern auch die Verwerter, zum Beispiel durch Verlegerbeteiligung und das Presseleistungsschutzrecht. Die Nutzer haben ebenfalls Vorteile. DataMining wird ermöglicht, ebenso die kollektive Verwertung bei ungeklärter Rechtsinhaberschaft.
Nun zum Reizthema: Was will Artikel 17?
Alexander Koch: In vielen Diskussionen wird das leider nicht erwähnt: Die Plattformen sind seit den frühen 2000er-Jahren durch die E-Commerce-Richtlinie erheblich privilegiert. So haften sie für fremde Inhalte erst mit der Kenntnis von einer Rechtsverletzung. Probleme bereiten die sich wiederholenden Verstöße: So kann ein Fotograf Youtube auffordern, ein geklautes Foto von der Seite zu nehmen. Stellt ein User kurz darauf das gleiche Foto wieder ein, kann der Plattformbetreiber sich wieder auf eine Unkenntnis von dem neuen Verstoß berufen. Für die Kreativen ist das ein Kampf gegen Windmühlen, für Portale wie Facebook und vor allem Youtube ist es dagegenein lukratives Geschäftsmodell. Das soll sich ändern.
Der Sinn ist also, urheberrechtlich geschützte Werke nicht unautorisiert auf die Plattformen gelangen zu lassen. Heißt das also: Artikel 17 = Upload-Filter?
Alexander Koch: Zuallererst strebt Artikel 17 den Abschluss kollektiver Lizenzvereinbarungen an. Es werden sicher nicht gleich alle Urheber und Rechteinhaber eine geschlossene Vereinbarung mittragen. Wenn aber Interessenvertreter wie Verwertungsgesellschaften oder Verbände endlich in die Lage versetzt werden, mit den genannten Plattformbetreibern auf Augenhöhe zu verhandeln, dann wäre ein erster wichtiger Schritt getan.Kommen die angestrebten Vereinbarungen nicht zustande, erwartet die Richtlinie von den Plattformbetreibern „best efforts to ensure the unavailability of specific works“ (Art. 17 Abs. 4 b). Für jeden Werktyp ist zu ermitteln, was dem jeweiligen Plattformbetreiber abverlangt werden kann. Ob das ein Werkverzeichnis ist wie die von Youtube eingeführte Content-ID oder eine Inhaltserfassung wie die längst vorhandene Google-Bildersuche, richtet sich nach der jeweiligen Werkkategorie. Es ist also bereits Technik vorhanden, die auchzur Wahrung der Interessen der Urheber und Rechteinhaber genutzt werden kann.
Und wenn sich die Plattformbetreiber entscheiden, dennoch Upload-Filter zu verwenden – haben wir dann unvermeidlich „Zensurmaschinen“?
Alexander Koch: Hinter dem Begriff steckt die Befürchtung, dass die Plattformbetreiber übers Ziel hinausschießen und auch legale Inhalte sperren. Mit Artikel 17 Abs. 7 spricht sich die Richtlinie jedoch für eine Beachtung gesetzlicherAusnahmen wie das Zitatrecht aus. Zudem schreibt sie in Absatz 9 einen Beschwerdemechanismus vor, wie man ihn bei Social-Media-Plattformen zu Hate-Postings schon kennt.
Victoria Ringleb: Upload-Filter sind eine Möglichkeit, die sich – auch mit Blick auf die engagierten Demonstrationen auf den Straßen Europas – offenbar nicht als geeignete Lösung zur Wahrung der Rechte der Werkschaffenden erweist. Daher würde ich den betreffenden Plattformen empfehlen, andere, geeignetere Lösungen zu nutzen, sofern die Rechte der Werkschaffenden für sie relevant sind. Also nein, nicht zwingend die „Zensurmaschinen“.
Wenn das EU-Parlament für die Richtlinie inklusive Artikel 17 stimmt, was würde sich für die Beteiligten ändern?
Im schlimmsten Fall
Victoria Ringleb: Im schlimmsten Fall behelligen uns die Plattformen tatsächlich mit Upload-Filtern, die all die zuvor heraufbeschworenen Horrorszenarien – Beschränkung der Meinungsfreiheit durch Zensur, keine Memes mehr, keine Satire mehr – bestätigen. Das würde mit Blick auf das Große und Ganze einen kulturell und auch wirtschaftlich erheblichen Schaden verursachen, und den Sündenbock liefern sie uns gleich frei Haus mit: die Urheber, die auf Wertschätzung und Wahrung ihrer Rechte bestehen.
Im besten Fall
Victoria Ringleb: Im besten Fall nehmen Youtube & Co. ihre eigenen Ansprüche ernst, holen die geeigneten Lösungen für eine rechtlich tragfähige Lizenzierung urheberrechtlich geschützter Werke aus dem Giftschrank heraus und besinnen sich auf ihre Verantwortung. Kreativität braucht Kreativität. Das heißt, künstlerische Werke nehmen Bezug auf andere künstlerische Werke, manchmal sehr nah dran wie bei den Memes, manchmal weiter weg. Nutzer erhalten leichten Zugang zu künstlerischen Werken, lassen sich davon inspirieren und werden so selbst kreativ. Das wissen die Plattformen und stellen sich dieser Verantwortung. Das heißt, das Internet bleibt, wie es ist – wie es ja dieser Tage von den Demonstranten immer wieder gefordert wird –, aber nicht mehr um den Preis der permanenten Rechteverletzung.
Gleichzeitig sind wir als Gesellschaft insgesamt in der Verantwortung, den Diskurs darüber zu führen, wie wir in einer digitalisierten Welt mit geistigem Eigentum umgehen wollen. Denn dann reden wir nicht nur über das Urheberrecht, sondern auch über andere (gewerbliche) Schutzrechte.