Der Artikel 12 verdient mehr Aufmerksamkeit, als er bisher bekam. Er kann die Verlagsbranche stärken und – wie die umstrittenen Artikel 11 und 13 – erhebliche Konsequenzen haben. »Kann« weil er mit der Formulierung beginnt »Die Mitgliedstaaten können vorsehen …« Es hängt also alles von der nationalen Ausgestaltung ab. Und dem guten Willen der Beteiligten. Welche Lösungen lassen sich finden?
Was bedeutet der Artikel 12 für Deutschland?
Alexander Koch: Nach Artikel 12 kann der Gesetzgeber die seit vielen Jahren hier geübte Praxis der pauschalen Beteiligung der Verleger an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen wiederherstellen; die gesetzlichen Vergütungsansprüche bieten einen finanziellen Ausgleich für gesetzlich freigestellte Nutzungen. Bedeutendes Beispiel ist die Privatkopieabgabe. Gerätehersteller müssen sie für kopierfähige Medien wie Festplatten bezahlen. Ein Teil des Geldes ging an die Urheber, der andere an die Verlage. Nach Klagen von Urhebern sprachen sich dann 2015 der EuGH, 2016 der BGH und 2018 das Bundesverfassungsgericht gegen diese Regelung aus. Die Mehrheit der Urheberverbände ist dennoch für eine Fortsetzung der bisherigen Praxis.
Victoria Ringleb: Es gibt aber auch Gegenstimmen, zum Beispiel von den Freischreibern, dem Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten.
Widerspricht es nicht den wirtschaftlichen Interessen der Urheber, die Verlage pauschal zu beteiligen?
Alexander Koch: Nein. Nach dem Abklingen der ersten Euphorie konkretisierte sich schnell die Gefahr, dass die Urheber unterm Strich weniger verdienen würden. Verlage und Autoren leben ja vor allem von den Einnahmen aus der Primärrechteverwertung und teilen diese im Rahmen des Verlagsvertrages. Das Gleiche gilt für Fotografen und Bildagenturen. Die Verlage hatten bereits angekündigt, dass sie wegen der BGH-Entscheidung ihren Anteil aus der Primärrechteverwertung erhöhen würden.
Für Designer sind die regulären Ausschüttungen über die VG Bild-Kunst ohnehin marginal; sie liegen im Verhältnis zu den Primärvergütungen im einstelligen Prozentbereich. Zudem werden Verleger nur mit 30 %, seit letztem Jahr sogar nur noch mit 20 % beteiligt.
Das bisherige Kooperations-Modell ist also immer noch das beste?
Alexander Koch: Die Kooperation mit einem Verlag ist keine Liebesheirat. Gerade die erfolgreichen Autoren mussten aber einräumen, dass sie ihren Beruf ohne Verleger nicht ausüben könnten. Die große Welle erfolgreicher Selfpublisher ist jedenfalls ausgeblieben. Und das Internet hat auch nicht zu der herbeigesehnten Demokratisierung der Kultur und einer Stärkung der Kreativen geführt.
Victoria Ringleb: Ich denke, diese Medaille hat zwei Seiten. Die Anzahl der Urheber, der Kreativen ist im Zeitalter des Internets deutlich gestiegen. Menschen beflügeln sich hier gegenseitig, kreative Leistungen regen andere an. Oft ist das nicht mit materiellem Gewinn verbunden, manchmal aber doch. Selfpublishing kann durchaus auch erfolgreich sein. Keff Vidalas BoD-Buch „Bis die Liebe uns findet“ verkaufte sich seit seinem Erscheinen Ende 2016 über 20.000 Mal. Natürlich ist auch illegales Veröffentlichen im digitalen Zeitalter einfacher geworden, aber es ist ja gerade das Ziel der EU-Urheberrechtslinie, das zu verhindern.
Es geht also auch ohne Verlag?
Alexander Koch: Manches ist nur möglich durch die Zweckgemeinschaft zwischen Autoren und Verlagen. So konnte die VG Wort ein Zählsystem für die Erfassung von Online-Nutzungen (Metis) nur mithilfe der Verlage etablieren, weil diese das gleiche Interesse an gerechteren Ausschüttungen verfolgen.
Aber Verleger erbringen nun mal keine kreativen und damit keine urheberrechtlich relevanten Leistungen.
Alexander Koch: Dieser in der Theorie vertretbare Ansatz führt in der Praxis zu einigen Problemen. Die Gegenmeinung ist, dass ohne die Verlegerleistung ein Werk vielleicht entstehen, aber eben nicht wirtschaftlich interessant verwertet werden kann.
Victoria Ringleb: Natürlich trägt ein Verleger ein nicht ganz unerhebliches wirtschaftliches Risiko bei der Veröffentlichung eines Buches zum Beispiel. Dem muss man Rechnung tragen. Eine pauschale Beteiligung halte ich dennoch für problematisch. Auch, weil sie den Verdacht aufkommen lässt, dass nach anderen Beteiligungsmodellen gar nicht erst gesucht wurde.
Welches Fazit kann man aus alledem für künftige Rechteverwertungen ziehen?
Alexander Koch: Gewachsene Wertschöpfungsketten haben ihre Berechtigung. Diese im Rahmen kollektiver Rechtewahrnehmungen abzubilden, ist kein leichtes Unterfangen. Gerade das Beispiel der Verlegerbeteiligung zeigt, dass groß angedachten Pauschalvergütungsmodellen mit Vorsicht zu begegnen ist. Es ist keine Lösung, Konflikte mittels einer Pauschalvergütung einfach in die Verwertungsgesellschaften abzuschieben.
Victoria Ringleb: Ob wir von Upload-Filtern reden, Verlegerbeteiligungen, Presseleistungsschutzrecht, pauschalen Vergütungsmodellen – der Verdacht, dass versucht wird, mit Denkmustern und Handlungsweisen der vordigitalen Zeit Lösungen für die digitale Zeit zu finden, drängt sich leider immer wieder auf.
Akzeptieren wir jedoch, dass wir uns in einer Transformation befinden, der wir mit althergebrachten Strategien nicht mehr begegnen können und die neue Wege und Ergebnisse braucht, bringen uns entsprechende kreative Methoden und Vorgehensweisen vielleicht zumindest auf den richtigen Weg.