Die Liebe kommt, die Liebe geht - Zur Herausgabe offener Dateien

Viele Designerinnen und Designer haben es erlebt, dass die Vorzimmerdame des Marke­ting­chefs eines langjährigen Kunden mal schnell die offenen Dateien anfordert. Abgesehen von dem Aufwand des Zusammenstellens der Dateien und der Befürchtung des bevor­stehenden Endes einer langjährigen Kooperation steht die Frage einer Verpflichtung zur Herausgabe offener Dateien im Mittelpunkt. Für einige sind diese nicht nur Garant für lukrative Folgeaufträge. Die Verunstaltung von Designarbeiten kann schnell zu einer Ruf­schädigung der Designerin oder des Designers führen. Auch wenn das Thema zu den am meisten gestellten Fragen gehört, kann leider auf keine Rechtsprechung zurück­ge­griffen werden. Mit dem folgenden Artikel steuern wir einige Argumente bei, die bei den anste­hen­den Verhandlungen hilfreich sein können.

Herausgabepflicht

Die Pflicht zur Herausgabe offener Dateien ist im Einzelfall zu ermitteln. Äußerst hilfreich sind schriftliche Klarstellungen wie in einem Angebot, in einem Vertragstext oder in beigefügten Geschäftsbedingungen (vgl. Ziff. 8.3 AVG-Kommunikationsdesign). Es sind aber auch etwaige von dem Kunden gestellte Verträge sorgfältig durchzusehen. Zu oft liegt nichts Schriftliches vor, sodass eine nur mündlich oder unzureichend geschlos­sene Vereinbarung ausgelegt werden muss. Die Rechtspraxis muss dann den tatsächlichen Willen der Parteien ermitteln (vgl. § 133 BGB). Auch wenn die Frage der Nutzungsrechte sich erst auf der Ebene des Lizenzvertrags stellt, liegt es nahe, auf den Zweck des Designauftrags und dessen gewollten Umfang abzustellen (vgl. § 31 Abs. 5 UrhG – zum urheberrechtlichen Übertragungszweck). Hat der Kunde neben einer gedruckten Broschüre auch ein PDF erhalten, lässt sich nicht so ohne Weiteres eine Herausgabepflicht bezüglich offener Dateien ableiten. (Siehe hierzu auch Schwenke). Bei schnell sich verändern­den digitalen Medien – wie etwa UI-Design – oder bei der Erstellung von Templates ist die Frage in manchen Fällen nicht mehr so leicht zu beantworten. Ein ausnahmsweise einge­räum­tes Bearbeitungsrecht wäre auch genauer zu betrachten. Eine fehlende Kompatibilität (zB. Affinity-Datei versus Inde­sign-Programm) dürfte wieder gegen eine Herausgabepflicht sprechen. In den meisten Fäl­len ist eine Herausgabe­pflicht zu verneinen.

Vergütung

Weil mit der Anforderung 0ffener Dateien womöglich das Ende einer Zusammenarbeit einge­läutet wird, wollen sich einige Designerinnen und Designer die Herausgabe wenigs­tens etwas vergüten lassen. Für die Bemessung kann man schlicht die Frage stellen, wie viel Zeit der Kunde für das Nachmontieren der Designs einspart. Damit er nicht nein sagen kann, muss man einen entsprechenden Nachlass berechnen. Sofern die Designs eine Schöpfungshöhe erreichen und somit ein Urheberrechtsschutz zu bejahen ist, kann man berechnen, was der Kunde für die Erstellung kompletter Neugestaltungen zu bezahlen hätte. Gerade weil die Einräumung von Bearbeitungsrechten in der Regel zu verneinen ist, liefe der Kunde stets Gefahr, urheberrechtliche Ansprüche auszulösen.

Herausgabe eingebetteter Fotos oder Schriftfonts

Mit der Herausgabe der angeforderten Dateien erwartet ein Kunde oft auch die Überlas­sung eingebetteter Inhalte wie vor allem die Feindaten von Stock-Fotos oder Schriftfonts. Hier ist zunächst zu klären, ob und unter welchen Bedingungen diese Werke an den Kunden (weiter-)übertragen werden können. Weil einige Bildagenturen, die Designerinnen und Designer als ihre Kunden in die Verantwortung nehmen, ist es immer besser, wenn der Kunde den Content für anderweitige Verwendungen direkt bei den Anbietern erwirbt.

Abwicklung der Herausgabe per Abschlussvereinbarung

Das Interesse der Designerinnen und Designer ist in solchen Fällen darauf gerichtet, neben einer Bezahlung einen klaren Schlussstrich ziehen zu können. Nichts ist ärgerlicher, von einem Kunden „gedroppt“ zu werden und ihm ständig (kostenlos) Dateien heraus­suchen oder für seine Urheberrechtsverletzungen gerade stehen zu müssen. Weil oft langjährige Geschäftsbeziehungen aufgearbeitet werden müssen, können solche Ab­schluss­vereinbarungen sehr individuell ausfallen. Neben einer Bezahlung sind vor allem Fragen zu klären, welche Dateien herauszugeben sind. Von Bedeutung ist, ob diese auf dem technischen Stand der damaligen Fertigstellung verbleiben dürfen. Zudem sollte das Recht ausbedungen werden, nach der Übergabe sämtliche Dateien löschen zu können.

Alles eine Frage der Verhandlung

Die vorangegangenen Ausführungen geben nur einen rechtlichen Rahmen wieder. Ist eine Herausgabepflicht zu verneinen, müssen sich Designerinnen und Designer gut überlegen, wie sie ihre Rechtsposition einsetzen. In einigen Fällen kommen Kunden auch zurück, nämlich wenn sie irgendwann merken, dass ihre Mitarbeiter mit den Dateien nicht um­gehen können oder professionell erstelltes Design nun mal seinen Wert hat.

Alexander Koch – AGD-Justiziar und Rechtsanwalt | 06.05.2021